Aufschrecken, Erstarren, Argwohn...

Zehn mögliche Anzeichen für Traumafolgen im Erleben älterer Menschen

Ein Trauma ist keine Krankheit, aber die Folgen können wie eine Krankheit erlebt werden. Deshalb gibt es auf die so einfache Frage: „Ich leide an Schlafstörungen und Ängsten: Bin ich traumatisiert?“ keine einfache Antwort.

Ein Trauma ist ein schreckliches und überforderndes Erleben. Gegen massive Überforderungen kann sich der menschliche Organismus dadurch wehren, dass Ängste entstehen, die den Menschen davor zu bewahren, erneut in ähnliche Situationen hineinzugeraten. Zusätzlich steigt die Erregung, damit die Menschen sich besser wehren oder fortlaufen zu können.

All das sind zunächst positive und sinnvolle Schutzmechanismen (vgl. „Fluch und Segen des Traumagedächtnisses“). Doch bei den meisten traumatischen Ereignissen können Menschen weder weglaufen noch kämpfen. Die Opfer sexueller Gewalterfahrungen sind ebenso hilflos wie die Opfer von Kriegsbombardierungen, sie können weder kämpfen noch fliehen. Also bleibt die eigentlich sinnvolle Angst und Erregung in ihnen stecken. Oft erstarren sie.

Wenn die Schutzreaktionen Angst und Erregung nicht wieder verschwinden, sondern sich chronisch in den Menschen einnisten, werden die traumatischen Erfahrungen problematisch. Da wird die hohe Erregung, die zum Kämpfen oder Fliehen notwendig gewesen wäre, zu einer Dauererregung. Da wird die Angst, die gefährliche Situation vermeiden sollte, zur chronischen Angst, die die Lebensqualität einschränkt und sich bis in den Schlaf hinein auswirkt. Unsere Träume können wir nicht kontrollieren. Traumatisierte Menschen sind ihrem Erleben im Schlaf ebenso ausgeliefert, wie sie es oft im traumatischen Ereignis erfahren mussten. Im Schlaf geht die Kontrolle verloren, Ängste und Erregung können sich ungehemmt „austoben“.

Vielfach werden einzelne Elemente eines Erlebens wie z. B. Ängste oder Erregungsschübe, die aus traumatischen Erfahrungen entstanden sind, später nicht mehr mit ihrer (traumatischen) Ursache verbunden. Das nächtliche Hochschrecken bleibt, aber der betroffene Mensch weiß nicht mehr, wann und warum es begonnen hat. Außerdem gilt für jedes Phänomen, das einer traumatischen Erfahrung entsprungen sein kann, dass es auch andere Quellen haben kann. Deswegen kann man nicht sagen, dieses oder jenes Erleben hat diese oder jene Ursache. Man muss vielmehr das Gesamtbild eines Menschen betrachten und sich – möglichst in einer vertrauensvollen Beziehung – auf die Suche nach Quellen, Zusammenhängen und sich wiederholenden Mustern machen.

Im Folgenden werden einige Anzeichen, die auf traumatische Erfahrungen hindeuten können, aufgeführt. Es geht dabei nicht um Diagnosen, sondern um Hinweise und Anhaltspunkte, die ein weiteres Suchen rechtfertigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Anzeichen und Hinweise entspringen unserer therapeutischen und beraterischen Erfahrung und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ängste mit bestimmten Triggern

Wer eine traumatische Erfahrung mit einem Mann machen musste, der nach einem bestimmten Duftwasser roch, wird sich zumindest unbewusst an die Traumasituation erinnern, wenn er oder sie dieses Duftwasser erneut wahrnimmt und in Reaktion darauf in Angst erstarren. So funktioniert unser Körpergedächtnis. Wer im Dunkeln Schlimmes erlebt hat, für den kann Dunkelheit ein Trigger sein, also Auslöser für das Wiedererleben der damaligen traumatischen Situation. Oft kennt man diese Trigger nicht; sie erschließen sich erst, wenn man die Angst ernst nimmt und nach Triggern sucht. Ängste, die an bestimmte Umstände wie Gerüche, Töne oder Situationen gebunden sind und die betroffene Menschen überfallartig bedrängen, können deshalb ein Hinweis auf traumatische Erfahrungen sein.

Flottierende Ängste

Manchmal lösen sich Ängste von ihrem Anlass und schweben gleichsam frei durch die Seele, lassen sich mal hier, mal dort nieder, unberechenbar und ungeplant, scheinbar „ohne Grund“ und ohne dass ein Trigger zu finden wäre. Hier ist die Verbindung zwischen der Herkunft einer Angst und der Angst selbst zerrissen. In der Regel geschieht dies bei Ängsten, die sehr schwerwiegende Anlässe hatten, was auf traumatische Erfahrungen hindeuten kann.

Abruptes angstvolles Erwachen

Eine traumatische Erfahrung, gleich welcher Art, ist eine schreckliche Erfahrung, die viele Menschen tagsüber bewusst oder unbewusst kontrollieren und so in Schach halten können. Doch nachts schwinden die Kontrollmöglichkeiten und die schlimme Erfahrung wird im Schlaf zum erlebten Schrecken, aus dem Menschen abrupt und verängstigt wachwerden.

Unruhe

Eine traumatische Erfahrung beunruhigt. Wenn diese Unruhe keinen Trost und keine Geborgenheit findet, kann sie sich verstetigen und dazu führen, dass Menschen innerlich beunruhigt sind. Das kann dazu führen, dass sie sich auch äußerlich unruhig verhalten, zum Beispiel hin und her wandern oder nicht wissen, was sie gerade wollen, nervös wirken und sich als „zappelig“ erleben. Manche können aber auch äußerlich wie die Ruhe selbst wirken und dennoch innerlich von extremer Unruhe geplagt sein. Wie alle anderen Hinweise können auch diese Phänomene unterschiedliche Quellen haben. Wir sagen: Wenn Menschen innerlich wie äußerlich unruhig sind, ist es wichtig zu fragen, was sie beunruhigt!

Vermeidung

Wenn Menschen Situationen und Kontakte vermeiden, die denen der traumatischen Erfahrung ähneln, dann ist dies sinnvoll. Wenn ein solches Vermeidungsverhalten dauerhaft erfolgt und die Menschen nicht mehr wissen, warum sie z. B. eine bestimmte Fernsehsendung, den Fahrstuhl oder den Kontakt mit anderen Menschen vermeiden, dann leiden sie oft darunter. Was ursprünglich positiv war, hat sich vom Anlass gelöst und wurde zu einer Einschränkung der Lebensmöglichkeiten. Deswegen kann Vermeidungsverhalten ein Hinweis auf traumatische Erfahrungen sein.

Negatives Körpergefühl und Ekel

Insbesondere bei traumatisierenden Erfahrungen sexualisierter Gewalt machen die betroffenen Menschen negative Körpererfahrungen und es entstehen häufig Ekelgefühle. Wenn diese anhalten oder immer wieder auftreten, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass nach traumatischen Ereignissen gesucht werden sollte.

Fixierungen

Die meisten Menschen empfinden es als schön, von anderen gehalten und umarmt zu werden und sehnen sich danach. Wer Gewalt erlebt hat und vor allem sexuelle Gewalt, wurde aber oftmals festgehalten und unterworfen. Der Körper kann sich daran erinnern, dass er schon einmal mit schlimmen Folgen „gehalten“, also fixiert wurde und wehrt sich gegen das positive und tröstende Halten und Gehaltenwerden. Wenn also Umarmungen und Halt von anderen Menschen als bedrohlich erlebt werden, kann das ein Hinweis auf traumatische Erfahrungen sein.

Niedriges Selbstwertgefühl

Ein niedriges Selbstwertgefühl kann sehr unterschiedliche Ursachen haben. Traumatische Erfahrungen gehören auch dazu. In einem traumatischen Erleben werden Menschen als Objekt behandelt. Ihr „Nein" wurde nicht gehört, so dass sich viele später nicht nur in der konkreten Situation erniedrigt fühlen, sondern auch unter einem anhaltenden niedrigen Selbstwertgefühl leiden.

Misstrauen

Wer Gewalt und andere traumatische Erfahrungen erlebt hat, dessen Vertrauen wurde gebrochen oder zumindest ernsthaft erschüttert. Die weitaus überwiegende Anzahl von Erfahrungen sexueller Gewalt erfolgt im nahen Familien- oder Bekanntenkreis, was das Vertrauen noch mehr erschüttert. In der Folge davon misstrauisch zu sein gegenüber Annäherungen anderer, ist legitim und notwendig. Auch kriegstraumatische Erlebnisse erschüttern das Vertrauen in die Welt. Doch wenn sich diese Haltung verstetigt und zu einem Grundzug der Kontaktaufnahme oder -verhinderung und Beziehungsentwicklung wird, kann das ein glückliches Leben behindern. Chronisches Misstrauen sollte deshalb auf seine Ursachen hinterfragt werden. Dabei kann man traumatischen Erfahrungen begegnen.

Härte

Wer eine traumatische Erfahrung erlebt, braucht oft Kraft, Mut und Härte, um sich wieder aufzurichten. Insofern ist Härte eine positive Eigenschaft, auch für diejenigen, die Krieg und Kriegsfolgen bewältigt haben. Doch wenn man sich verliebt oder seinen Enkeln liebevoll begegnet, ist Härte nicht förderlich für glückliche Beziehungen und kann die Lebensqualität aller deutlich verringern. Auch hier kann es sinnvoll sein, nach den Quellen der Härte gegen sich selbst und andere zu schauen.

All diese Hinweise sind keine diagnostischen Kriterien. Jeder Mensch ist anders und bewältigt Traumaerfahrungen unterschiedlich. Solche Besonderheiten müssen ernst genommen werden und jeder der angeführten Hinweise kann auch andere - als traumatische - Ursachen haben. Das wissend und respektierend wollen wir dennoch die Fragen der Menschen ernst nehmen, die wissen wollen, ob Gefühle und Verhaltensweisen, unter denen sie leiden, in traumatischen Erlebnissen wurzeln können. Ihnen sagen wir: Wenn Sie unter mehreren der genannten Anzeichen leiden, nehmen Sie das ernst und suchen Sie Hilfe in Beratungsstellen und therapeutischen Hilfsangeboten. Sie können die Suche nach den Quellen nicht alleine bestreiten, deswegen gehen Sie diesen Weg mit anderen.